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    https://archive.is/oHetS

    E: Für Menschen, die auch Probleme haben, hier, was archive.is zeigt (also was ich von der Website archive.is habe. Was hinter der Paywall ist, kann ich nicht sagen, weil ich leider kein Zeit-Abo habe):

    Anfang

    archive.is Klimaschutz: Die Klimaretter in ihrer Blase | ZEIT ONLINE Maximilian Probst 13–15 minutes Die Klimaretter in ihrer Blase – Seite 1

    Was ist die Energiewende? Ein Megaprojekt zulasten der kleinen Leute. Was ist nachhaltige Ernährung? Ein Luxus, den sich nur die grüne Blase leisten kann. Und das E-Auto? Ein Spielzeug, in das sich Städter setzen, wenn sie am Wochenende spazieren fahren. Kurz: Klimaschutz ist ein Elitenprojekt – diese populistische Erzählung treibt, neben der Migrationsfrage, die Menschen so stark nach rechts wie kein anderes Thema.

    Aber was ist dran an dieser Erzählung? Und was ließe sich daran ändern? Ziemlich viel, lautet die Antwort, die Sozialwissenschaftler auf beide Fragen geben können.

    Am Anfang steht die Einsicht: Den Klimaschutz als Menschheitsaufgabe zu beschreiben, die alle politischen Interessenkonflikte überstrahlt – das allein genügt nicht, um breite Unterstützung zu finden. Daran wird wohl auch die Tatsache wenig ändern, dass 2024 global das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war. Und selbst apokalyptische Bilder wie jene aus Kalifornien sind dazu wenig geeignet. In der Vergangenheit jedenfalls führten Extremwetterereignisse keineswegs verlässlich dazu, dass die politische Unterstützung für den Klimaschutz zunahm.

    Es kommt also darauf an, wem die ganz konkreten Gesetze und Regelungen für den Klimaschutz zugutekommen – und wie darüber gesprochen wird.

    Genau dazu forscht der Frankfurter Soziologe Dennis Eversberg. Mit seinem Team hat er mehr als 4.000 Menschen “über ihre Sichtweisen und Gefühlslagen im Hinblick auf den anstehenden Wandel, ihre Alltagsgewohnheiten, ihr gesellschaftliches und politisches Engagement und ihre soziale Lage befragt”, wie es in der kürzlich erschienenen Studie heißt. “Dabei haben wir herausgefunden”, sagt Eversberg, “dass die gegenwärtige Auseinandersetzung über die Klimakrise und die ökologische Transformation durch Klassenverhältnisse bestimmt ist.”

    Eine “Klassenfrage im Werden” macht auch der Soziologe Steffen Mau aus: Seinen Daten zufolge fürchtet die Hälfte der Arbeiterschaft hierzulande durch Klimaschutzmaßnahmen Verluste, aber nur weniger als ein Viertel der akademischen Mittelklasse.

    Und der in Glasgow lehrenden Soziologin Karen Bell erscheint der Klimaschutz, wie er zuletzt in Deutschland praktiziert wurde, geradezu als eine Steilvorlage für rechtspopulistische Mobilisierung: “Wollen Sie Leute von Klimapolitik abschrecken”, sagt Bell, “dann sprechen Sie über Elektroautos und Wärmepumpen.” Denn die könnten sich viele nicht leisten. Solche Fördergelder landen als Erstes bei denen, die ohnehin schon wohlhabend sind und ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein haben.

    Das ist umso brisanter, weil es auch einen “klassenspezifischen ökologischen Fußabdruck” gibt, wie Steffen Mau in seinem Buch Triggerpunkte festgestellt hat: Je wohlhabender man ist, desto größer der Materialverbrauch und desto höher die Emissionen. Daraus leitet sich der Doppelmoralvorwurf ab: Wer sich für den Kampf gegen die Klimakrise einsetze, treibe sie in Wahrheit oft besonders stark durch seinen Lebensstil an. Vorzeige-Ökologen sind in Wahrheit die anderen

    Dem steht das Umweltverhalten der prekären Klasse gegenüber. Karen Bell, die aus der Arbeiterschaft kommt, denkt etwa an ihre Eltern: “Die kannten das Wort ökologisch gar nicht, waren durch ihren von Armut geprägten sparsamen Lebensstil aber Vorzeige-Ökologen.” Sie hätten ihre alte Kleidung geflickt, Gemüse selbst angebaut und immer nur ein Zimmer im Haus geheizt. Menschen in diesen Lebenslagen, sagt Bell, würden sich nicht fragen, aus welchen Quellen die Energie kommt, die sie brauchen. Sondern allein, wie sie die Rechnung dafür zahlen können.

    Der Elitismus- und Doppelmoralvorwurf gegen Klimapolitik ist also durchaus berechtigt. Und doch schießt er übers Ziel hinaus. Was ihm entgegensteht, sagt der Soziologe Dennis Eversberg, sei die Bereitschaft der Menschen des ökologischen Milieus, “auch eine Politik zu unterstützen, von der sie nicht selbst materiell profitieren”. Der weitverbreitete Eindruck, die ökologische Klasse sei abgehoben, heißt es in seiner Studie, entstehe auch durch “gezielte Bemühungen” von politischen Gegnern und Medienaktivisten.

    Welche Gefahren in dieser Zuspitzung des Klassenkonflikts stecken, geht dabei klar aus der Studie von Eversberg hervor. Zum Hintergrund gehört, dass sich der Konflikt nicht nur vertikal abspielt, also zwischen einem sozioökonomischen Oben und Unten, zwischen Bessergestellten und prekär lebenden Menschen. Sondern auch horizontal: zwischen unterschiedlichen Mentalitäten. Eversberg macht drei Spektren der Gesellschaft aus: Dem “konservativ-steigerungsorientierten” Spektrum (erst Wachstum und Wohlstand, dann, vielleicht, das Klima) ordnet er 36 Prozent der Befragten zu, dem “ökosozialen” (mehr Klimaschutz so schnell wie möglich) und dem “defensiv-reaktiven” Spektrum (wütende Abwehr von Veränderungen) jeweils 26 Prozent. Und es ist die Oberschicht der ersten beiden Spektren, die durch den Konflikt zwischen “materiell-eigentumsbasierten” und “postmateriell-bildungsbasierten” Mentalitäten aufgespalten wird.

    Eversberg erkennt deshalb auch in Deutschland die Möglichkeit einer Koalition, die in den USA bereits mit Donald Trump Realität geworden ist: Eine gegen Klimaschutz gerichtete vehemente Verteidigung privater Eigentumsinteressen weit oben in der Gesellschaft verbündet sich weiter unten mit der Wut auf die ökologische Elite “da oben”. Das Schicksal der liberalen Demokratie – darauf läuft das Ergebnis der Soziologen hinaus – ist mit der Klimafrage verkoppelt. Scheitert die eine, dann scheitert die andere.

    Auch in der Leipziger “Mitte-Studie”, die alle zwei Jahre autoritäre und rechtsextreme Einstellungen untersucht, ist dieser Zusammenhang 2023 erhärtet worden. Je mehr die dafür Befragten den Klimaschutz ablehnten, desto feindlicher waren sie gegenüber der Demokratie eingestellt. Die Schlussfolgerung der Autoren: “Über Klimapolitik sind Personen bis weit in die Mitte offenkundig durch Populismus erreichbar und lassen sich über völkisch-autoritär-rebellische Angebote bis zum Rechtsextremismus und der Billigung von politischer Gewalt verführen.” Klimawandel und der Populismus

    Doch wie kommt man raus aus der Klima-Eliten-Falle? Das weiß vielleicht niemand besser als Karen Bell, die seit 30 Jahren zur Frage forscht, wie ökologische Politik Akzeptanz gewinnen kann. Sie sieht die Möglichkeit für einen working class environmentalism, eine Umweltbewegung der Arbeiter.

    Davon würden die Menschen unten in der Gesellschaft besonders profitieren: Zahlreiche Studien belegen, wie sehr sie unter Klima- und Umweltfolgen leiden. Das gilt für Feinstaubbelastung, für Hitzewellen und Flutkatastrophen. Auch von Feuern sind – anders als die Bilder von ausgebrannten Villen und Teslas in Los Angeles nahelegen – sozial schwächere Gruppen am stärksten betroffen.

    Sie kämpfen also mit den Folgen eines Problems, zu dem sie wegen ihres geringen Konsums selbst wenig beigetragen haben. Doch fehlt dafür bislang das Bewusstsein. Das hat im Sommer eine in den USA, Indien, Nigeria und Dänemark durchgeführte Studie der Baseler Universität, der Universität Cambridge und der Kopenhagen Business School gezeigt. Die große Mehrheit der Teilnehmer überschätzte den durchschnittlichen Kohlenstofffußabdruck der ärmsten 50 Prozent und unterschätzte den der reichsten 10 Prozent. Und zwar egal aus welcher Schicht die Teilnehmenden selbst kamen. Die entscheidende Pointe lautete: Je mehr die Ungleichheit unterschätzt wird, desto weniger wird Klimapolitik unterstützt. Die gehobene ökologische Klasse hätte nichts zu gewinnen

    Karen Bell glaubt: Eine Gruppe, die besonders stark von einem Problem betroffen ist, das sie selbst nicht verursacht hat, müsste besonders leicht zu gewinnen sein, es zu bekämpfen. Doch damit das gelingt, müsse sie bereits auf dem Weg zu mehr Klimaschutz politisch profitieren. “Wollen Sie für Umweltpolitik begeistern”, sagt Bell, “dann sprechen Sie über kostenlosen Nahverkehr, neue grüne Jobs, Wärmedämmung, die Mietern zugutekommt, und eine höhere Besteuerung fossiler Energiekonzerne.” Man sehe doch, dass Öl- und Gasunternehmen riesige Gewinne machten – und die Verbraucher dafür zahlten. Nur eine Klimapolitik, die auf Gleichheit ziele, würde genügend Rückhalt in der Bevölkerung finden, so Bell.

    Die Forschung von Steffen Mau hält auch dafür die Datengrundlage bereit. Demnach empfinden 74 Prozent der Unions-Wähler und sogar 83 Prozent der AfD-Wähler (von denen der größte Widerstand gegen Klimaschutz kommt) die Einkommens- und Vermögensunterschiede in Deutschland als zu groß.

    Auch der Soziologe Dennis Eversberg plädiert für eine Umverteilungs- und Industriepolitik, die auf neue grüne Jobs gerichtet ist und der Arbeiterschaft zugutekommen soll. Seine Formel dafür: “Mehr Möglichkeiten für viele, andere Möglichkeiten für einige und weniger Möglichkeiten für wenige.” Zu denen, die in diesem Szenario nichts zu gewinnen hätten, gehört die gehobene ökologische Klasse – in Deutschland also die Kernwählerschaft der Grünen.

    Doch hat dieses Programm eine Chance zu funktionieren? Der Umwelthistoriker Frank Uekötter, der zum working class environmentalism forscht, weist auf eine Schwierigkeit hin. Das jüngste Beispiel geben die ostdeutschen Regionen ab, die bis 2038 von der Braunkohleförderung wegkommen sollen. “Da wird ein gerechter Übergang zu neuen Industrien mit Milliarden Euro sozial ausgestaltet, und was ist passiert?”, fragt Uekötter. “Die Leute nehmen das Geld, wählen aber trotzdem Rechtsnationalisten, die ihnen eine fossile Zukunft versprechen.”

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      Rest

      Nicht viel anders ist es in größerem Maßstab in den USA geschehen. Dort sollte Joe Bidens Gesetzespaket, der Inflation Reduction Act, sowohl dem Klima als auch der Arbeiterschaft zugutekommen – aber genau die hat dann trotzdem für Trump und seine fossilen Träume gestimmt.

      Es überwiegen Skepsis und Ablehnung, wenn Industrieregionen auf erneuerbare Energien umstellen sollen. Das ist das Zwischenfazit der britischen Ökonomin Jo Cutter aus Leeds, die mit einem internationalen Forscherteam diese Frage rund um die Welt untersucht. Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Im Norden Spaniens sei es auf lokaler Ebene gelungen, überzeugende Perspektiven mit der Arbeiterschaft zu entwickeln, ohne dass es zu einem Abdriften in Richtung Rechtspopulismus gekommen sei. Dafür sei sehr detailliert untersucht worden, wer von der Transformation negativ betroffen sein würde und wie man konkret helfen könne.

      Jo Cutter schließt daraus: Klimaschutzpolitik müsse so lokal wie möglich umgesetzt werden. Je mehr sie in die polarisierte Großdebatte gerate, desto schwieriger werde es. Damit ist man wieder bei den zwei wichtigsten Eigenschaften des ökologischen Klassenkonflikts: Er hat einen realen Kern. Aber er wird auch instrumentalisiert und kann sich von klimapolitischen Realitäten entkoppeln.

      Darum laufen die sozialwissenschaftlichen Befunde auf das Ergebnis hinaus: Es ist mehr als eine Wende nötig. Die Akteure der ökologischen Elite müssten eine Anti-Klientel-Politik betreiben. Und die “Polarisierungsunternehmer” (Steffen Mau) des liberalen Mitte-rechts-Spektrums ihre Polemik gegen abgehobene Öko-Eliten eintauschen gegen eine neue Überzeugung: dass Klimaschutz auch ihre Aufgabe ist.

      Klug wäre das schon deshalb, weil auch eine Mitte-rechts-Regierung ansonsten Gefahr läuft, von Gerichten zum Klimaschutz verpflichtet zu werden. Denn der ist völkerrechtlich, europäisch und in Deutschland per Verfassungsbeschluss verankert. Eine Regierung, die Maßnahmen beschließt, die sie zuvor polemisch verunglimpft hat, verspielt jede Glaubwürdigkeit – und hilft dem Populismus.